Gehirnzeichnung
Anthroposophie

Zur Evolution des Gehirns – oder: Wie entstand der Computer im Kopf?

Artikel von Michael Knöbel aus “Seminarbrief 5” – mit freundlicher Genehmigung des Autors

Die Idee, das Gehirn sei nur ein besserer Computer und ein Computer sei eigentlich eine Art Gehirn, geistert in den Medien und sicher auch in den Köpfen unserer Kinder herum. Hier soll versucht werden, mit Hilfe der vergleichenden Neuromorphologie das menschliche Gehirn etwas näher zu untersuchen und damit einige Aspekte zu dieser Frage beizusteuern, die allerdings bei der Komplexität der Thematik nur aphoristisch ausgeführt werden können.

GehirnzeichnungDie Idee zur Untersuchung dieser Zusammenhänge ergab sich einmal aus der Konferenzarbeit zur “Allgemeinen Menschenkunde als Grundlage der Pädagogik” von Rudolf Steiner. Dort ist im zwölften Vortrag ausgeführt, dass das Gehirn des Menschen, “die längste zeitliche Entwicklung hinter sich hat, so dass sie hinausgeschritten ist über die Form, welche die Tierwelt entwickelt hat. Der Mensch ist gewissermaßen durchgeschritten durch die Tierwelt in Bezug auf dieses sein eigentliches Hauptsystem, und er ist hinweggeschritten über das Tiersystem zu dem eigentlich menschlichen System”. Merkwürdig ist die sich daran anschließende Äußerung Steiners, dass nicht der Kopf das eigentlich Menschliche darstellt, sondern dass gerade der Kopf die Tendenz hat, uns tierhaft zu gestalten, uns in verschiedene Tiere umzuwandeln. Erst der menschliche Rumpf und seine Gliedmaßen lösen die tierischen Formen auf und machen uns zum Menschen. Ebenso merkwürdig sind die Tiere, die Steiner in diesem Zusammenhang aufzählt, er nennt Wurm, den Drachen, den Wolf und das Lamm. Das Anliegen unserer Konferenzarbeit ist, die vor rund 80 Jahren von Rudolf Steiner gehaltenen und von den angehenden Lehrern der ersten Waldorfschule in Stuttgart mitgeschriebenen Vorträge ihrem Geist und Anliegen nach zu verstehen, die damals gemachten Angaben mit heutigen pädagogischen und naturwissenschaftlichen Ergebnissen zu vergleichen und so zu aktualisieren, um dadurch das eigene Verständnis des Menschen und der Schüler lebendig zu halten und zu vertiefen. Dies war Ausgangspunkt für die folgende Darstellung.

Untersuchen wir aus der Tierwelt zunächst den äußeren Bau der Gehirne der Wirbeltiere, so ist bei niederen Fischen das Gehirn nur unwesentlich gegenüber dem Rückenmark vergrößert. Auch bei höheren Fischen, z. B. einem Karpfen, wiegt es höchstens ein oder zwei Gramm. Jedoch sind hier die fünf Hirnabschnitte (siehe Abbildung 1), die sich auch in der menschlichen Embryonalentwicklung als fünf Hirnbläschen allmählich differenzieren, bereits erkennbar. Ein Fischgehirn besteht zum größten Teil aus dem Mittelhirn und einem kleineren Vorderhirn, eher umgekehrt verhält sich das – steigt man die Evolutionsleiter weiter hinauf – bei den Amphibien und Reptilien.Bild 1

 

In der weiteren stammesgeschichtlichen Entwicklung wurde nun durch allmähliche Spezialisierung und innere Differenzierung die ursprüngliche Form des einfachen Fischhirns überlagert, und zwar durch drei weitere Schichten. Paul MacLean, Chef des Laboratoriums für Hirnevolution und Verhalten vom National Institute of Mental Health, Maryland, entwickelte die These des “Triune Brain”, des dreifachen Gehirns, die inzwischen auch im deutschen Sprachraum zitiert wird und hier wiedergegeben werden soll: “Im Laufe der Evolution entwickelte sich das Primatengehirn nach drei Hauptmodellen, die man als Reptilienhirn, älteres Säugetierhirn und jüngeres Säugetierhirn bezeichnen könnte. Daraus ergab sich eine bemerkenswerte Verknüpfung dreier Gehirntypen, die sich biochemisch und strukturell radikal unterscheiden und die, entwicklungsgeschichtlich gesehen, verschiedene Welten sind. Es gibt gewissermaßen eine Hierarchie von drei Hirnen in einem. Ich habe es ein dreieiniges Gehirn genannt. Man kann daraus schließen, dass jeder Gehirntypus seine eigene Intelligenzform, sein eigenes spezialisiertes Gedächtnis und seine eigenen motorischen wie sonstigen Funktionen hat. Obwohl die drei Hirne eng miteinander verknüpft und funktional aufeinander angewiesen sind, sind sie in der Lage, unabhängig voneinander zu arbeiten.” Auf diese Art entstehen nach MacLean drei ganz verschiedene Mentalitäten, deren Qualitäten näher zu beschreiben sind.

Den ältesten Bereich des menschlichen Gehirns bildet der Hirnstamm, bestehend aus Medulla und Pons und dem Mittelhirn. Er wird von MacLean als “neurales Fahrgestell” bezeichnet und repräsentiert grundlegende Nervenfunktionen der Fortpflanzung und Selbsterhaltung einschließlich der Regulierung von Herz, Blutkreislauf und Atmung. Bei Fischen und Amphibien ist es auch fast schon das ganze Gehirn. Ein Reptil oder ein höheres Tier ohne Vorderhirn jedoch wäre, wie MacLean sagt, so bewegungslos und ziellos wie ein leerlaufendes Fahrzeug ohne Fahrer. Die Grand mal – Epilepsie wird als eine Krankheit beschrieben, “bei der die kognitiven ‘Fahrer’ wegen einer Art elektrischem Sturm im Gehirn abgestellt sind und nur noch das neurale Fahrgestell des Kranken in Betrieb ist” (Sagan). Der erste “Fahrer”, der das Mittelhirn umschließt, wird von MacLean als sogenannter R-Komplex bezeichnet. “R” steht sinngemäß für Reptilien, und gemeint ist damit der Bereich im Menschlichen Gehirn, der dem Gehirn der Kriechtiere entspricht. Er besteht im Wesentlichen aus dem Striatum, dem Streifenkörper, und der Formatio reticularis, einem dichten netzartigen Neuronengeflecht, das sich wie der Mittelpfeiler eines spätgotischen Gewölbes aus dem Zentrum des Hirnstammes zum Gehirn erhebt, wo es sich vielfältig verzweigt, so dass es das ganze Gewölbe der Großhirnrinde zu tragen scheint. Untersuchungen zum Verhalten von Eidechsen und südamerikanischen Totenkopfäffchen (Saimiri) ergaben, dass der R-Komplex offensichtlich eine besondere Rolle beim Angriffsverhalten angesichts eines Beutetieres, bei Flucht vor einem Raubtier, beim Revierverhalten und Nestbau, bei Ritualen und bei der Entwicklung sozialer Rangordnungen spielt und das gesamte Gehirn in einem Zustand der Wachsamkeit hält.Bild 2

Um den R-Komplex herum liegt das Limbische System, das der Mensch mit den Säugetieren teilt, das jedoch bei Reptilien nicht mehr in diesem Maße ausgebildet ist. Hier nun spiegeln sich lebhafte Emotionen, mächtige Leidenschaften und schmerzhafte Widersprüche. Elektrische Entladungen im Limbischen System führen manchmal zu Symptomen, die denen einer Psychose oder den durch psychedelische oder halluzinogene Drogen erzeugten Zuständen ähnlich sind (Sagan).Tatsächlich ist für viele Drogen eine Wirkung besonders im Limbischen System nachgewiesen. Der anatomische Bau ist kompliziert und unübersichtlich und wird manchmal verglichen mit dem eines Schlüsselringes, der sich nach oben zu den Strukturen der Großhirnrinde und nach unten zum Hirnstamm öffnet (Abbildung 2). Die oberste Hormondrüse, die Hypophyse, ist genauso Bestandteil des Limbischen Systems wie der Bulbus olfactorius, der mit dem Geruchssinn verbunden ist. Der Zusammenhang der Stimmungen mit den Hormonen und die emotionale Bedeutung von Gerüchen zeigt die besondere Eigenart dieses Gehirnabschnittes.

Bei niederen Säugetieren bildet das Limbische System nahezu das ganze äußere Gehirn. Bei höher entwickelten Säugern ist das Vorderhirn schon größer ausgebildet, so dass das Limbische System weiter innen sitzt (Abbildung 3). Es bleibt der Neokortex, die Großhirnrinde, die stammesgeschichtlich durch die sogenannte Enzephalisierung, die immense Vergrößerung und spätere Auffaltung der Rinde des Vorderhirns, entstanden ist. Sie hat die tieferliegenden älteren Strukturen nach und nach ersetzt und ihrem Kommando unterworfen. So ist ein Affe ohne den Hinterhauptslappen der Großhirnrinde blind; eine ‘Spitzmaus dagegen, die keine Vergrößerung des Neokortex zeigt, ist auch nach Entfernung der Sehrinde noch in der Lage, Formen wahrzunehmen und Gegenstände im Raum zu lokalisieren (Vincent). Der Neokortex ist der Bereich vieler charakteristisch menschlicher kognitiver Funktionen. Näher herausgegriffen seien nur die Stirnlappen: sie scheinen unter anderem mit der Überlegung und Regulierung des Handelns zu tun zu haben, mit dem Abschätzen der Wirkung willkürlicher Bewegungen. Neuere Arbeiten benennen hier auch die Repräsentanz des Zusammenspiels von dem Sehen und der aufrechten Haltung auf zwei Beinen, somit auch eine typisch menschliche Fähigkeit. Kurzum, wenn das Bewusstsein von Vernunft und Motivation irgendwo zu vermuten ist, dann hier. Bild 3Obwohl die genannten Gehirnbereiche untereinander intensiv verbunden sind und funktional voneinander abhängen, spricht MacLean jedem eine Autonomie zu. Trotz ihrer hierarchischen Ordnung und der Dominanz des Neokortex beim Menschen erleben wir tagtäglich Situationen, wo die älteren Gehirnbereiche mit unseren Handlungen in Zusammenhang gebracht werden können. Rituale und Gewohnheiten prägen uns, sie erleichtern unseren Alltag; oft wünschen wir aber auch – dann sind es meist die schlechten Angewohnheiten – uns davon zu befreien. Zum Beispiel der Weg zur Arbeit funktioniert nach einem – reptilienhaften – Automatismus, der uns erst dann bewusst wird, wenn wir vielleicht ausnahmsweise einen anderen Abstecher unternehmen wollten und uns doch in der gewohnten Straße wiederfinden…Wie sehr können aber gerade starke Gefühle sowohl unsere alltäglichen Aufgaben als auch unsere vernünftigen Vorsätze ad absurdum führen! Hat unsere Großhirnrinde dann die Wagenlenkung an das Limbische System abgegeben?

Sicher ist die dargestellte Funktionstrennung eine große Vereinfachung, die durch weitere neuro-anatomische Untersuchungen differenziert und in manchen Bereichen auch relativiert werden kann. Dennoch mag die These vom “Triune Brain” einen Beitrag zur alltäglichen Selbsterkenntnis leisten, die dazu viele Fragen aufwerfen: Sind meine Handlungen und Motive Ergebnisse spontan wechselnder Gefühle und fremdbestimmter Stimmungen oder entspringen sie stereotypem Verhalten und kaltblütigen inneren Regungen? Bin ich wenigstens manchmal aktiv mit meinem höheren Ich an ihnen beteiligt? Gibt es überhaupt höhere Motive? Und sind diese wirklich irgendwo im physischen Gehirn lokalisiert?

Aber eine weitere Erkenntnis mag aus dieser Betrachtung erwachsen: Das Gehirn spiegelt uns, in welcher auch immer gearteten Form, drei bzw. vier Daseinsebenen:

  1. Eine rein physische, die mit der reinen Aufrechterhaltung des physischen Leibes zusammenhängt, das neurale Fahrgestell
  2. Eine Lebensebene, die durch gleichmäßige Wiederholung, Rhythmus, Gewohnheit charakterisiert ist und damit dem entspricht, was Rudolf Steiner als Lebensleib bezeichnet, der R-Komplex. Die besondere Nähe der Reptilien hierzu mag zunächst überraschen, und mögliche Ausführungen würden den Rahmen des Aufsatzes sprengen. Als Hinweis mag aber die Fähigkeit des lebenslangen Wachstums erwähnt sein, während beispielsweise bei den Säugetieren und natürlich auch beim Menschen das Wachstum mit einem bestimmten Lebensalter eingestellt wird.
  3. Eine Ebene des Seelischen, die durch nach außen tretende seelische Stimmungen gekennzeichnet ist, das Limbische System. Wie reich sind im Vergleich zu den Echsen die seelischen Äußerungen, die wir an Vögeln und Säugetieren beobachten können: Gesang, Balz, Nestbau, Jungenaufzucht – eine reiche Verhaltenspalette, mit Vorlieben und Neigungen. Dies ist nach Steiner die Sphäre des Empfindungsleibes, die sich im Wechsel von Sympathie und Antipathie äußert.
  4. Bild 4Die Ebene des Ichs, die nur dem Menschen eigen ist. Im Morgenspruch der Mittel- und Oberstufe unserer Waldorfschule ist sie so charakterisiert, dass nur hier in bewusster Weise “dem Geiste Wohnung” gegeben wird. Ist dies der Neokortex? Sicher sollte die Suche nach Analogien nicht übertrieben werden. Dennoch scheinen hier Intention und Zielgerichtetheit lokalisiert. Auf den Zusammenhang mit der Orientierung im aufrechten Gang, der den Menschen schon rein physisch in ganz andere Kräfteverhältnisse stellt als die Tiere, wurde bereits hingewiesen. Die sensorischen und motorischen Felder der Großhirnrinde spiegeln den eigenen Leib und die umgebende Welt und bringen sie zum Bewusstsein. Manches davon scheint bereits bei den höheren Primaten und den Walen angedeutet, auch sie haben eine vergrößerte Großhirnrinde. Jedoch ist ihre Körperhaltung nicht aufrecht, die Gliedmaßen ermöglichen keine freie zielgerichtete Handlung. Das Ich mag zwar auch im Gehirn repräsentiert sein, aber dies ist wiederum nur eine Spiegelung der Aufrechten und der in der Welt tätigen Gliedmaßen! Das Ich ist nicht lokalisierbar, es äußert sich nur in seinen Kräftewirkungen!

kellerEine besonders eindrückliche Beschreibung des Unterschiedes zwischen der dritten und vierten Ebene findet sich in dem Buch von Jan Philipp Reemtsma: “Im Keller”, in dem Reemtsma die Geschichte seiner Entführung wiedergibt und dabei überaus gründlich die psychische Situation als im Keller gefangenes Opfer beobachtet und reflektiert. Er schreibt dazu in der dritten Person Singular, um die absolute Hilflosigkeit, das Ausgeliefertsein zu verdeutlichen, das dem Verlust eines Stückes Menschseins gleichkommt:

„Wenn er sich nicht durch Lesen oder Schreiben ablenkte, war er seinen Gefühlen ausgesetzt, und ich kann nicht einmal eines der Bilder verwenden, die man konventioneller weise für solche Zustände wählt, ein Schiff im Sturm etwa. Er war seine Gefühle, und nichts hätte der Gefühle Herr werden können – nicht, weil es zu schwach gewesen wäre, sondern weil es schlicht nicht da war. Das Gefühl, das vorhanden sein muss, damit einer unbefangen die erste Person Singular gebrauchen kann – wie immer man es nennen mag: Individualität oder Identität mit sich selbst oder Authentizität – bedarf einer komplexen Beziehung zur Außenwelt zur Ding- wie Menschenwelt. Es müssen soziale Beziehungen existieren, Kommunikation, ein Minimum von Verfügungsgewalt über Sachen.”

An der unwürdigen und lebensbedrohlichen Situation des Opfers werden die Voraussetzungen für das Eingreifen des Ichs deutlich, ebenso die Befindlichkeit, in der das Ich nicht wirksam werden kann und die oberste mentale Ebene des Limbischen Systems darstellt: „Das Bild vom Kern der Person hatte nichts mit dem zu tun, was er empfand. Viel eher traf das Bild eines leeren Raumes zu, durch den die Gefühle zogen. Sie kamen, blieben, wurden durch andere abgelöst. Es gab keinen Ort der Resistenz, von dem aus etwas hätte bewahrt oder unberührt gehalten werden können.”

Im folgenden beschreibt Reemtsma auch die unmerkliche Art und Weise, wie das Ich eingreift. Sie ist sehr von unseren alltäglichen Vorstellungen des Ichs oder der Individualität verschieden, und Reemtsma stellt diese berechtigterweise auch sehr in Frage! Er beschreibt folgende Situation: Für die Entführer hatte er schriftlich Fragen bezüglich Adressen und Telefonnummern zu beantworten, eine Frage blieb allerdings unbeantwortet. Beim Einschlafen fiel ihm ein, eine – ungefragte! – Erläuterung hinzuzufügen. Durch die Ausführung dieses eigenen – nicht von außen aufgedrängten – Entschlusses „… traten der Schock, die Angst und die Verzweiflung in den Hintergrund. Er war fast euphorisch gestimmt. Es glich der plötzlichen Wirkung eines Medikamentes, und doch lag es an nichts weiter als an dem Umstand, dass er ein paar Sätze geschrieben hatte. Sätze, die ihm nicht vorgeschrieben gewesen waren. Er hatte etwas zu der Situation hinzugetan. Sie erweitert, sie mitgestaltet.”

In den Vorträgen zur „Anthroposophischen Menschenerkenntnis und Medizin” erwähnt Rudolf Steiner, dass sich die oben erläuterte vierfache Leiblichkeit des Menschen mit ihren charakteristischen Eigenschaften im Gehirn widerspiegelt. Die These vom „Triune Brain” zeigt die Verschiedenartigkeit der damit verbundenen Intelligenzformen, von denen nicht zu erwarten ist, dass sie durch moderne Computertechnologie in der nächsten Zeit auch nur ansatzweise hervorgebracht werden können. Das Gehirn ist nicht nur eine Art vernetzter Computer, es ist als einmaliges Ergebnis einer langen geistigen und physischen Evolution nicht reproduzierbar. Aber es ist manipulierbar, und wichtige für die weitere menschliche Entwicklung notwendige Fähigkeiten können verloren gehen, wenn nicht gerade die vierte mentale Ebene, die der geistigen Individualität, entfaltet wird.

StollAbschließend wollen wir uns der Frage zuwenden, welche der behandelten Ebenen der Intelligenz nun bei der Nutzung des Computers besonders bei Kindern und Jugendlichen angesprochen sind. Dazu zitieren wir den amerikanischen Computer- und Internet-Kritiker Clifford Stoll aus einem Interview zum Multimedia und Online-Unterricht: „Das Internet schaltet die Art, wie wir denken, gleich. Es lässt uns alle über dieselben Themen nachdenken. Es macht uns intellektuell homogen, fördert die Monotonie der Gedanken und Ideen … die Hässlichkeit der Geistkultur im World Wide Web ist eine direkte Folge der Entscheidung, das Internet in jedermanns Haus und in jede Schule der Welt zu bringen”…

Jede Veränderung, ob gesellschaftlich oder technisch, ist ein faustischer Pakt – es gibt nichts umsonst. Faust wollte mit Mephistos Hilfe zwei Dinge erlangen: Allwissenheit und Allmacht. Was verspricht das Internet? Exakt dasselbe. Und auch der Preis ist genau der gleiche: für Faust das Wichtigste, was er im Leben besaß, nämlich seine Seele. Er verlor sie…

“Die Kinder, die sich auf den Pakt einlassen, verlieren „das Wichtigste, was wir Menschen besitzen: Unsere Zeit auf dieser Erde. Sie ist begrenzt. Und wir verschwenden sie, sitzen herum, surfen durchs Netz und klick, klick, klick, sind fünf Stunden vergangen. Das geht Ihnen doch genau so, wenn Sie lange online waren: Am Ende sitzt man da und fragt sich, was hat es einem gebracht. Bin ich ein besserer Mensch geworden? Bin ich weiser geworden? Hat sich meine Persönlichkeit vertieft? Verstehe ich besser, was die Welt im Innersten zusammenhält? Nein, ich bin bloß fünf Stunden älter geworden.” (Spiegel 42/1999)

Die zweite mentale Ebene, die des R- Komplexes, ist leicht zu erkennen: Das Einschalten eines Programmes, das Warten, bis der Ladevorgang beendet ist (eine neue Art Ritual?), das mehr oder weniger schnelle Tippen, erfolgt aus Kräften der Gewohnheit. Auch leisten Programme selbstverständlich nur das, was bei ihrer Programmierung vorgegeben wurde. Gedanken und Tätigkeiten folgen mechanisch programmierten Bahnen. Die Ebene des Limbischen Systems ist sicher im „Daddeln” in Computerspielen und, wie von Stoll beschrieben, beim Surfen im Internet angesprochen. Die vierte, nur dem Menschen zukommende Ebene, wird und kann vom Computer nicht angesprochen und gefördert werden. Wie bei Reemtsma im Keller wird das Ich in seiner Möglichkeit, wirksam zu werden, nicht angeregt. Darin liegt heute die besondere Aufgabe der Pädagogik an den Schulen. Das Ich des sich entwickelnden Menschen kann sich nur durch tätiges Miteinander entfalten.

Michael Knöbel ist Dozent am Seminar für Waldorfpädagogik Hamburg

 

 

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