Heileurythmie und Reflexintegration – Therapeutische Forschung und Anwendung
“Alles Lebendige ist im Fluss”
Auch der Mensch ist aus dem Fluss der Bewegung geboren und zeigt sich am menschlichsten, wenn er sich bewegt. Innere und äußere Bewegung sind daher die Grundlage unserer Gesundheit.
Der Mensch ist durch innere Lebensprozesse in ständiger Verwandlung, ist mit seiner bewegten Seele durch seine Sinneswahrnehmungen mit der Welt und den Mitmenschen verbunden und mit einer Individualität erfüllt, die tatkräftig mit seiner bewegten, aufrechten Gestalt Impulse in der Welt verwirklichen will.
Wenn diese Prozesse aus dem Gleichgewicht geraten und zu stocken beginnen, äußert sich das oft als Verzögerung in der motorischen oder seelischen Entwicklung. Später können sich krankmachende Tendenzen bemerkbar machen oder manifestieren. In meiner Praxis bringe ich diese inneren und äußeren Prozesse, wo es notwendig ist, wieder in einen harmonischen Fluss.
In meiner Praxis stehen zwei Therapieansätze zur Verfügung:
- die Heileurythmie / Eurythmietherapie
- die neuromotorische Entwicklungsförderung / Reflexintegration
Die Heileurythmie
Mit der Heileurythmie können wir die Lebenskräfte durch gezielte Ganzkörperbewegungen bewusst ergreifen und aktiv lenken.
Alles Lebendige bewegt und verwandelt sich unaufhörlich. Denken Sie an die Zeit der stärksten Bewegungs- und Verwandlungsvorgänge Ihres Lebens – an die ersten neun Monate des geschützten Lebens vor der Geburt. Was haben da für starke Lebenskräfte als Strömungen, Gestaltungen, Verfestigungen, Wachstum in Ihnen gewirkt!
Nach der Geburt offenbaren sich die Gestaltungskräfte deutlich in der sich entwickelnden und wachsenden Gestalt des Kindes. Und das ganze Leben hindurch wirken in uns diese erneuernden und sich selbst immer wieder neu erschaffenden Kräfte. Sie verwandeln die Stoffe, die wir zu uns nehmen, regenerieren die leibliche Substanz und ermöglichen Reproduktion.
Mit diesen Lebenskräften arbeiten wir in der Heileurythmie. Die Grundelemente der Heileurythmie sind die in Bewegung umgewandelten Laute unserer Sprache und die Intervalle der Musik, die je nach Indikation und therapeutischer Zielsetzung spezifisch angewandt werden. Die Gestaltungsdynamik, die in der Lautbildung – das heißt im Aussprechen von Vokalen und Konsonanten – enthalten ist, wird in der Heileurythmie in Bewegung umgesetzt und erlebbar gemacht. Jede Bewegung steht in einer bestimmten Wirkungsbeziehung zu den Vorgängen unseres Organismus. Heileurythmie wirkt somit gezielt wie ein Medikament – bis in die Funktion einzelner Organe und Organsysteme.
Heileurythmie kann helfen bei:
ADS, ADHS, Ängste, Allergien, Anämie, Anorexie, Apoplexie, Arthritis, Asthma, Augenerkrankungen, Bettnässen, Bulimie, Borderline, Burnout, Cerebrale Störungen, Chronic fatigue syndrom, Colitis, Depression, Diabetes Mellitus, Entwicklungsstörungen, Epilepsie, Fibromyalgien, Hauterkrankungen, Herzerkrankungen, HIV, Hormonelle Störungen, Hyperkinetisches Syndrom, Ischialgien, Kopfschmerz, Koordinationsstörungen, Kreislaufstörungen, Lähmungen, Multiple Sklerose, Morbus Crohn, Nervenerkrankungen, Nierenerkrankungen, Neurodermitis, Obstipation, Psoriasis, PTBS, Trauma, Tumorerkrankungen, Zahnfehlstellungen etc.
Frühkindliche Reflexe, Reaktionen oder Bewegungsmuster
Die meisten Eltern haben die frühkindlichen Reflexe beim Kinderarzt in der Testung gesehen. Man testet sie beim Säugling um ihr Vorhandensein zu prüfen, denn sie sollen in den ersten Monaten da sein. Man testet aber in der Regel später nicht, ob sie zum richtigen Zeitpunkt auch tatsächlich nicht mehr auslösbar, also integriert sind.
„Frühkindlich“ heißen diese Reflexe, weil sie in die frühe Kindheit gehören. Interessant und störend werden sie, wenn sie nach ihrer eigentlichen Waltezeit erhalten bleiben; das kann bis ins Erwachsenenalter dauern.
Frühkindliche Reflexe (auch frühkindliche Reaktionen oder Bewegungsmuster genannt) sind automatische, vom Hirnstamm ausgelöste Reaktionen mit denen jeder Mensch geboren wird. Sie werden durch bestimmte Kopfbewegungen oder plötzliche Sinnesreize aktiviert. Der Hirnstamm überwacht lebenswichtige Funktionen wie Herzschlag und Atmung und agiert grundsätzlich außerhalb unserer bewussten Kontrolle. So auch bei den frühkindlichen Reflexen – sie werden ausgelöst, ob wir es wollen oder nicht. Der Betroffene ist dadurch in einer Situation, die er zunächst nicht beeinflussen kann.
Innerhalb des ersten Lebensjahres haben die frühkindliche Reflexe lebenswichtige Aufgaben. Sie verhelfen während der Schwangerschaft zu einer ersten Tonisierung des Leibes, und zu einer aktiven Unterstützung des Geburtsprozesses. Nach der Geburt helfen sie dem recht hilflosen Säugling, den Übergang in die neuen Erdverhältnisse zu vollziehen, das heißt den Anforderungen der Schwerkraft, der Atmung und der Sinneswahrnehmungen gerecht zu werden.
Am Ende des ersten Lebensjahres sollten die meisten Reflexe in höhere, bewusste Hirnfunktionen „integriert“ werden und damit nicht mehr auslösbar sein. Wenn die frühkindlichen Reflexe länger aktiv bleiben, spricht man von einer neuromotorischen Unreife. Dies bedeutet, dass man über das erste Lebensjahr hinaus – eventuell bis ins Erwachsenenalter – auf bestimmte körperliche Reaktionen wenig Einfluss hat. Die Fähigkeit, sich frei zu bewegen kann damit beeinträchtigt sein. Auch bestimmte seelische Reaktionen können betroffen sein und emotionale und Wahrnehmungsfähigkeiten auf verschiedenste Weise, bis ins Sozialverhalten, beeinflusst werden.
Therapeutischer Ansatz für Kinder, Jugendliche und Erwachsene
Meine Aufgabe ist es, durch eine genaue diagnostische Beurteilung den aktuellen Entwicklungsstand festzustellen, und gemeinsam mit den Betroffenen ein häusliches Übungsprogramm zu erarbeiten, das genau auf die Bedürfnisse des Kindes abgestimmt ist. Ich arbeite mit zwei verschiedene Methoden, INPP und Blomberg Rhythmic Movement Training (BRMT). Durch gezielte, täglich wiederholte Übungen kann die nachträgliche Ausreifung und Hemmung unreifer Reflexaktivität, sowie die Entwicklung der lebenslangen Haltungsreflexe angeregt werden. Damit werden die basalen senso-motorischen Voraussetzungen für höhere Hirnfunktionen, adäquate emotionale Reaktionen und eine reife Bewegungskontrolle verbessert.
So kann das Kind – oder Erwachsene – „Herr oder Frau des eigenen Hauses“ werden, in seinem Körper ankommen, in sich ruhen, sich in seiner Haut wohl fühlen, sich konzentrieren, seine Umwelt wahrnehmen und mit anderen in Beziehung treten, ohne nur reaktiv zu handeln.
Für Kinder und Erwachsene kann eine Reflexintegration bei folgenden Erscheinungen hilfreich sein:
– Konzentrationsschwäche
– Ablenkbarkeit, Überreaktion, Unruhe
– Ängstlichkeit und Schreckhaftigkeit
– aggressives/impulsives Verhalten
– Alleingängertum
– extreme Schüchternheit
– Stottern oder gar nicht sprechen
– Artikulationsschwierigkeiten
– kontrollierendes Verhalten
– Ungeschicklichkeit
– Hypotonie
– Gleichgewichtsstörungen
– schlechte Haltung
– feinmotorische Schwierigkeiten
– grobmotorische Schwierigkeiten
– Lese-und Rechtschreibschwäche
– Dyskalkulie
Warum zwei Therapieansätze?
Die klassische Bewegungsübung für die Integration des sogenannten Moro-Reflexes weist eine deutliche Verwandtschaft auf zur eurythmischen Grundübung „Ballen und Spreizen“. Eine genauere Untersuchung führte zur These: wenn diese Bewegung einen Einfluss auf diesen Reflex hat, dann könnte der Moro-Reflex in einer Beziehung zum menschlichen Atmungsorganismus stehen. Sollte sich dies bewahrheiten, ließe sich das ganze Thema der frühkindlichen Reflexe durch die anthroposophische Menschenkunde ergründen! Das Untersuchen dieser Zusammenhänge durch das Studium der Bewegungsphänomene stellt den Inhalt meiner Forschung dar. Das bedeutet für die therapeutische Arbeit, dass ich entweder auf den einen oder den anderen Ansatz zurückgreife.
Forschende und dozierende Tätigkeit
Neben der therapeutischen Arbeit bin ich seit vielen Jahren aktiv in der Erforschung der frühkindlichen Reflexe unter dem Gesichtspunkt der anthroposophischen Menschenkunde. Dazu führe ich regelmäßig Kurse durch für Heileurythmisten und angehende Lehrer und Erzieher am Seminar für Waldorfpädagogik Hamburg. Außerdem leite ich Ausbildungskurse in Blomberg Rhythmic Movement Training (BRMT) für Therapeuten, Lehrer, Erzieher und Eltern.
Susan Singer-Carpenter ist Therapeutin in freier Praxis in Hamburg
Kontaktdaten der Autorin auf anthronet
weiterführende Links zum Thema:
Berufsverband Heileurythmie (BVHE) – berufsverband-heileurythmie.de
Institut für Neuro-Physiologische Psychologie (INPP) Deutschland – www.inpp.de
Blomberg Rhythmic Movement Training (BRMT) – blombergrmt.iak-freiburg.de